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Elfte Bayerische Corona-Verordnung bleibt in Vollzug

Die Elfte Baye­ri­sche In­fek­ti­ons­schutz­maß­nah­men­ver­ord­nung wird nicht außer Voll­zug ge­setzt. Der Baye­ri­sche Ver­fas­sungs­ge­richts­hof hat einen ent­spre­chen­den Eil­an­trag ab­ge­lehnt. Die Ab­wä­gung der wi­der­strei­ten­den Grund­rech­te gehe zu­guns­ten des Schut­zes von Leib und Leben einer Viel­zahl von Per­so­nen aus. Auch ein­zel­ne Vor­schrif­ten könn­ten nicht außer Voll­zug ge­setzt wer­den, da dies das Ge­samt­kon­zept des Ver­ord­nungs­ge­bers durch­ein­an­der­bräch­te.

Ver­brei­tung der COVID-19-Er­kran­kung ver­hin­dern

Die vom Baye­ri­schen Staats­mi­nis­te­ri­um für Ge­sund­heit und Pfle­ge er­las­se­ne Elfte Baye­ri­sche In­fek­ti­ons­schutz­maß­nah­men­ver­ord­nung ent­hält Schutz­maß­nah­men zur Ver­hin­de­rung der Ver­brei­tung der COVID-19-Er­kran­kung. Dazu ge­hö­ren unter an­de­rem Aus­gangs- und Kon­takt­be­schrän­kun­gen, die Mas­ken­pflicht, Auf­la­gen für Got­tes­diens­te, Be­schrän­kun­gen be­zie­hungs­wei­se die Un­ter­sa­gung von Ver­samm­lun­gen, die Be­schrän­kung der Sport­aus­übung, die Schlie­ßung von La­den­ge­schäf­ten, die Un­ter­sa­gung des Be­triebs gas­tro­no­mi­scher Ein­rich­tun­gen, von Über­nach­tungs­an­ge­bo­ten und des Be­triebs von Kul­tur­ein­rich­tun­gen sowie die Schlie­ßung von Schu­len und Kin­der­ta­ges­ein­rich­tun­gen.

Ver­fas­sungs­wid­rig­keit der Ver­ord­nung gel­tend ge­macht

Die An­trag­stel­le­rin­nen haben Po­pu­lar­k­la­ge er­ho­ben. Sie hal­ten die Elfte Baye­ri­sche In­fek­ti­ons­schutz­maß­nah­men­ver­ord­nung so­wohl for­mal als auch ma­te­ri­ell für ver­fas­sungs­wid­rig. Ihre An­wen­dung sei mit schwe­ren Nach­tei­len auf­grund rechts­wid­ri­ger Grund­rechts­ein­grif­fe ver­bun­den. Zu­gleich wol­len die An­trag­stel­le­rin­nen mit einem An­trag auf Er­lass einer einst­wei­li­gen An­ord­nung er­rei­chen, dass die Ver­ord­nung so­fort außer Voll­zug ge­setzt wird.

Er­folgs­aus­sich­ten des Haupt­an­trags offen

Der Verf­GH hat den Er­lass einer einst­wei­li­gen An­ord­nung ab­ge­lehnt. Bei der im Ver­fah­ren des einst­wei­li­gen Rechts­schut­zes ge­bo­te­nen über­schlä­gi­gen Prü­fung könne weder von of­fen­sicht­li­chen Er­folgs­aus­sich­ten noch von einer of­fen­sicht­li­chen Aus­sichts­lo­sig­keit des die Elfte Baye­ri­sche In­fek­ti­ons­schutz­maß­nah­men­ver­ord­nung be­tref­fen­den Haupt­an­trags im Po­pu­lar­k­la­ge­ver­fah­ren aus­ge­gan­gen wer­den.

An­nah­me der Er­for­der­lich­keit der Schutz­maß­nah­men nicht of­fen­sicht­lich feh­ler­haft

Es sei weder of­fen­sicht­lich, dass die vom Ver­ord­nungs­ge­ber her­an­ge­zo­ge­nen Rechts­grund­la­gen (§ 32 Satz 1 IfSG in Ver­bin­dung mit §§ 28 Abs. 128a2930 Abs. 1 Satz 2 IfSG) ih­rer­seits ver­fas­sungs­wid­rig seien, noch dass die Er­mäch­ti­gungs­grund­la­ge im Hin­blick auf ihre Reich­wei­te die an­ge­grif­fe­nen Be­stim­mun­gen nicht trüge. Der Ein­wand der An­trag­stel­le­rin­nen, die Vor­aus­set­zun­gen für den Er­lass von Schutz­maß­nah­men seien schon des­halb nicht er­füllt, weil weder eine epi­de­mi­sche Lage von na­tio­na­ler Trag­wei­te noch be­last­ba­re Er­kennt­nis­se über die tat­säch­li­che Zahl der Er­kran­kun­gen an COVID-19 vor­lä­gen, er­scheint dem Verf­GH fern­lie­gend. An­ge­sichts der bei Er­lass der an­ge­grif­fe­nen Re­ge­lun­gen vor­han­de­nen ge­si­cher­ten Er­kennt­nis­se über durch SARS-CoV-2 ver­ur­sach­te Er­kran­kun­gen und To­des­fäl­le sei es je­den­falls nicht of­fen­sicht­lich feh­ler­haft ge­we­sen, dass der Norm­ge­ber ein In­fek­ti­ons­ge­sche­hen als ge­ge­ben er­ach­tet habe, das Schutz­maß­nah­men nach §§ 2828a IfSG er­for­der­lich macht.

Keine of­fen­sicht­li­che Ver­let­zung von Frei­heits­grund­rech­ten

Eben­so wenig sei fest­zu­stel­len, dass die Elfte Baye­ri­sche In­fek­ti­ons­schutz­maß­nah­men­ver­ord­nung of­fen­sicht­lich Frei­heits­grund­rech­te der Baye­ri­schen Ver­fas­sung ver­letzt. Es stehe außer Frage, dass Vor­schrif­ten der Ver­ord­nung – zum Teil ganz er­heb­lich – in den Schutz­be­reich von Frei­heits­grund­rech­ten der Baye­ri­schen Ver­fas­sung ein­grei­fen. Das mache die Maß­nah­men aber nicht von vorn­her­ein ver­fas­sungs­wid­rig. Für eine Recht­fer­ti­gung von Grund­rechts­ein­grif­fen sprä­chen an­ge­sichts der Ge­fah­ren, die ein un­ge­hin­der­tes In­fek­ti­ons­ge­sche­hen für Leib und Leben der Men­schen und die Leis­tungs­fä­hig­keit des Ge­sund­heits­sys­tems mit sich brin­gen kann, gute Grün­de. Dabei sei zu be­rück­sich­ti­gen, dass der Staat wegen sei­ner ver­fas­sungs­recht­li­chen Schutz­pflicht für Leben und kör­per­li­che Un­ver­sehrt­heit zum Han­deln nicht nur be­rech­tigt, son­dern auch ver­pflich­tet sei.

Grund­recht auf Frei­heit der Per­son nicht ein­schlä­gig

Das Grund­recht auf Frei­heit der Per­son (Art. 102 Abs. 1 BV) sei nicht ein­schlä­gig. Eine – auch bu­ß­geld­be­wehr­te – Pflicht, die Woh­nung nicht ohne be­stimm­te Grün­de zu ver­las­sen, falle nicht in den Schutz­be­reich die­ses Rechts.

Weder Grund­rechts­ein­grif­fe noch Aus­gleich un­ver­hält­nis­mä­ßig

Sons­ti­ge Frei­heits­rech­te, wie zum Bei­spiel das Grund­recht auf Frei­zü­gig­keit (Art. 109 Abs. 1 BV), die Be­rufs­frei­heit (Art 101 BV), die all­ge­mei­ne Hand­lungs­frei­heit (Art. 101 BV) und das Grund­recht auf Schutz der Fa­mi­lie (Art. 124 Abs. 1 BV), seien ent­we­der nur in­ner­halb der Schran­ken der all­ge­mei­nen Ge­set­ze ge­währ­leis­tet oder un­ter­lä­gen ver­fas­sungs­im­ma­nen­ten Schran­ken auf­grund kol­li­die­ren­der Grund­rech­te Drit­ter und an­de­rer mit Ver­fas­sungs­rang aus­ge­stat­te­ter Rechts­wer­te. Im Rah­men der ge­bo­te­nen sum­ma­ri­schen Prü­fung könne nicht fest­ge­stellt wer­den, dass der Ver­ord­nungs­ge­ber in un­ver­hält­nis­mä­ßi­ger Weise in Grund­rech­te ein­ge­grif­fen be­zie­hungs­wei­se einen un­an­ge­mes­se­nen Aus­gleich zwi­schen den kol­li­die­ren­den Ver­fas­sungs­gü­tern und der staat­li­chen Schutz­pflicht für Leben und Ge­sund­heit vor­ge­nom­men hat.

Zu­min­dest kein of­fen­sicht­li­cher Ver­stoß gegen Ver­hält­nis­mä­ßig­keits­grund­satz

Hin­ter­grund der mit der Elf­ten Baye­ri­schen In­fek­ti­ons­schutz­maß­nah­men­ver­ord­nung teil­wei­se er­heb­lich ver­schärf­ten Be­stim­mun­gen sei eine be­sorg­nis­er­re­gen­de Ent­wick­lung des In­fek­ti­ons­ge­sche­hens. Es sei nicht er­kenn­bar, dass der Norm­ge­ber, dem bei der Be­ur­tei­lung der Eig­nung und Er­for­der­lich­keit grund­rechts­ein­schrän­ken­der Maß­nah­men eine Ein­schät­zungs­prä­ro­ga­ti­ve zu­kommt, mit den Schutz­maß­nah­men of­fen­sicht­lich gegen den Ver­hält­nis­mä­ßig­keits­grund­satz ver­sto­ßen hat. Ins­be­son­de­re lasse sich nicht fest­stel­len, dass die da­durch be­ab­sich­tig­te Un­ter­bin­dung von Kon­tak­ten von vorn­her­ein un­ge­eig­net sei, die wei­te­re Aus­brei­tung von In­fek­tio­nen ab­zu­schwä­chen und hier­für ein mil­de­res, aber gleich ge­eig­ne­tes Mit­tel zur Ver­fü­gung stehe. Die von den An­trag­stel­le­rin­nen gegen die Be­wer­tung der Ge­fah­ren­la­ge er­ho­be­nen Ein­wen­dun­gen grif­fen nicht durch.

Er­for­der­lich­keit und Ver­hält­nis­mä­ßig­keit wer­den lau­fend über­prüft

Es seien auch keine An­halts­punk­te dafür er­kenn­bar, dass die Baye­ri­sche Staats­re­gie­rung ihrer Pflicht, die ge­trof­fe­nen Maß­nah­men fort­lau­fend auf ihre Er­for­der­lich­keit und Ver­hält­nis­mä­ßig­keit hin zu über­prü­fen, nicht nach­kä­me. Der Ein­wand der An­trag­stel­le­rin­nen, der Norm­ge­ber eva­lu­ie­re die er­las­se­nen In­fek­ti­ons­schutz­maß­nah­men­ver­ord­nun­gen nicht, son­dern än­de­re diese stän­dig, gehe fehl. Die häu­fi­gen Än­de­run­gen der In­fek­ti­ons­schutz­maß­nah­men­ver­ord­nun­gen be­leg­ten ge­ra­de, dass der Norm­ge­ber die Wirk­sam­keit und An­ge­mes­sen­heit der Maß­nah­men fort­wäh­rend über­wacht und die er­las­se­nen Rechts­vor­schrif­ten an neue Er­kennt­nis­se und die ak­tu­el­le Ent­wick­lung des In­fek­ti­ons­ge­sche­hens an­passt.

Schutz von Leib und Leben geht vor

Bei der dem­nach ge­bo­te­nen Fol­gen­ab­wä­gung über­wö­gen die gegen den Er­lass einer einst­wei­li­gen An­ord­nung spre­chen­den Grün­de. Auch wenn die Elfte Baye­ri­sche In­fek­ti­ons­schutz­maß­nah­men­ver­ord­nung ge­gen­über frü­he­ren Ver­ord­nun­gen teil­wei­se er­heb­li­che Ver­schär­fun­gen ent­hält, müss­ten die Be­lan­ge der von den Vor­schrif­ten Be­trof­fe­nen ge­gen­über der fort­be­stehen­den und in jün­ge­rer Zeit wie­der er­heb­lich ge­stie­ge­nen Ge­fahr für Leib und Leben einer Viel­zahl von Men­schen bei gleich­zei­tig dro­hen­der Über­for­de­rung der per­so­nel­len und sach­li­chen Ka­pa­zi­tä­ten des Ge­sund­heits­sys­tems zu­rück­tre­ten.

Ge­samt­kon­zept nicht durch Au­ßer­kraft­set­zen ein­zel­ner Be­stim­mun­gen zu be­ein­träch­ti­gen

Eine vor­läu­fi­ge Au­ßer­kraft­set­zung ein­zel­ner Ver­ord­nungs­be­stim­mun­gen würde die prak­ti­sche Wirk­sam­keit des vom Ver­ord­nungs­ge­ber ver­folg­ten Ge­samt­kon­zepts be­ein­träch­ti­gen, so der Verf­GH ab­schlie­ßend.

zu BayVerfGH, Entscheidung vom 30.12.2020 – 96-VII-20

Redaktion beck-aktuell, 5. Jan 2021.

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