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Über 25.000 Diesel-Einzelklagen gegen VW mit Vergleich beendet

Die Scha­den­er­satz­zah­lun­gen des VW-Kon­zerns an rund 55.000 ein­zel­ne Die­sel­klä­ger sind zum Jah­res­wech­sel in knapp der Hälf­te aller Fälle ab­ge­wi­ckelt. Wie die Deut­sche Pres­se-Agen­tur aus dem Un­ter­neh­men er­fuhr, wur­den in den se­pa­ra­ten Ver­fah­ren au­ßer­halb des gro­ßen Mus­ter­ver­gleichs in­zwi­schen „ins­ge­samt über 25.000“ Ver­ein­ba­run­gen ge­schlos­sen. In die­sen Fäl­len sei die Aus­zah­lung schon be­en­det oder laufe der­zeit. Noch nicht ab­schlie­ßend bei­ge­legt sind damit etwa 30.000 Kla­gen – al­ler­dings gebe es dabei be­reits gut 15.000 Ver­gleichs­an­ge­bo­te, die den Kun­den vor­lä­gen.

Bei Ein­mal­zah­lun­gen Auto nicht zu­rück­zu­ge­ben

Volks­wa­gen hatte Klä­gern mit ei­ge­nen Pro­zes­sen Ein­mal­zah­lun­gen in Aus­sicht ge­stellt, die in­di­vi­du­ell be­rech­net wer­den sol­len. Wer das Geld an­nimmt, kann auch sein Auto be­hal­ten. Die Al­ter­na­ti­ve ist, das Ur­teil im ei­ge­nen Ver­fah­ren ab­zu­war­ten, bei dem sich die Rich­ter an der Aus­le­gung des Bun­des­ge­richts­hofs ori­en­tie­ren dürf­ten. Dann könn­te unter Um­stän­den der Kauf­preis ab­züg­lich eines Nut­zungs­bei­trags flie­ßen. Die Kun­den müs­sen den Wagen dann je­doch zu­rück­ge­ben.

Keine vorab de­fi­nier­ter Be­trag für jedes Au­to­mo­dell und -alter

An­ders als bei der Mus­ter­fest­stel­lungs­kla­ge, die unter der Regie des Ver­brauch­zen­tra­le Bun­des­ver­bands (vzbv) ge­führt wurde, gibt es für Ein­zel­klä­ger wegen der Viel­falt der mög­li­chen Kon­stel­la­tio­nen keine ein­heit­li­che Ta­bel­le, aus der sich vorab de­fi­nier­te Sum­men für jedes Au­to­mo­dell und -alter er­ge­ben. Es geht um Ein­zel­re­ge­lun­gen. Dabei kommt es eben­falls etwa auf die Nut­zungs­dau­er und das Alter an.

Ein­zel­prü­fun­gen noch in „ei­ni­gen we­ni­gen Fäl­len“

Im Mus­ter­ver­gleich hat­ten Ju­ris­ten von vzbv und VW nach ei­ni­gem Hin und Her für die teil­neh­men­den Kun­den je nach Fahr­zeug zwi­schen 1.350 und 6.257 Euro ver­ein­bart. So gut wie alle als be­rech­tigt er­ach­te­ten An­sprü­che – 245.000 Fälle – seien jetzt per Ver­gleich ab­ge­gol­ten, hieß es aus dem Kon­zern. Man habe dafür mehr als 750 Mil­lio­nen Euro aus­ge­zahlt. In „ei­ni­gen we­ni­gen Fäl­len“ lie­fen noch Ein­zel­prü­fun­gen.

Motor EA 189 im Zen­trum des Mus­ter­ver­fah­rens

Im Mus­ter­ver­fah­ren ging es um den „Skan­dal­mo­tor“ EA 189. Zum neue­ren An­trieb EA 288, der laut VW keine un­zu­läs­si­ge Ab­schalt­ein­rich­tung hat, gibt es eben­falls Kla­gen – hier­bei hät­ten Ge­rich­te zu 99% zu­guns­ten des Her­stel­lers ent­schie­den, wie rund 1.200 Ur­tei­le zeig­ten. Etwa 5.000 Kla­gen seien an­hän­gig, Ver­glei­che wür­den nicht an­ge­bo­ten.

Be­reits meh­re­re Grund­satz-Ur­tei­le des BGH

Beim „Die­sel­ga­te“-Motor EA 189 waren un­ab­hän­gig von der Mus­ter­kla­ge des vzbv et­li­che wei­te­re Au­to­be­sit­zer, die sich wegen ge­fälsch­ter Ab­gas­wer­te von Volks­wa­gen ge­prellt sahen, selbst vor Ge­richt ge­zo­gen – oft in Er­war­tung hö­he­rer Ent­schä­di­gun­gen. Nach Tau­sen­den Ver­fah­ren vor Amts-, Lan­des- und Ober­lan­des­ge­rich­ten war der erste sol­che Fall im Mai 2020 zur Ver­hand­lung an den BGH ge­langt. Die obers­ten Zi­vil­rich­ter ent­schie­den in wei­ten Tei­len zu­guns­ten des Klä­gers, setz­ten aber auch Leit­plan­ken für ähn­lich ge­la­ger­te Fälle. Im Juli 2020 folg­ten dann wei­te­re BGH-Ur­tei­le zu Grund­satz­the­men wie Kauf­zeit­punkt oder De­likt­zin­sen.

Kaum Chan­ce auf Scha­den­er­satz bei VW-Kauf erst in 2019

Be­son­ders strit­tig war bis zu­letzt auch die Frage der Ver­jäh­rung von Scha­den­er­satz­an­sprü­chen. Mitte De­zem­ber 2020 deu­te­te der BGH an­hand eines Bei­spiel­falls an: Die­sel­kun­den, die erst 2019 oder 2020 gegen VW klag­ten, dürf­ten wohl in den meis­ten Fäl­len leer aus­ge­hen. Denn im Herbst 2015, als der mil­lio­nen­fa­che Be­trug mit il­le­ga­ler Ab­gas­tech­nik auf­flog, sei das Thema schon ge­nü­gend be­kannt ge­we­sen, um vor Ge­richt zu zie­hen. Wer da­mals nach­weis­lich wuss­te, dass auch sein Auto be­trof­fen ist, hätte dem­nach bis spä­tes­tens Ende 2018 kla­gen müs­sen. Die ge­setz­lich vor­ge­se­he­ne Ver­jäh­rungs­frist be­trägt drei Jahre. Eine Aus­nah­me gibt es laut Recht­spre­chung des BGH nur, wenn die da­ma­li­ge Rechts­la­ge zu­nächst so un­si­cher und zwei­fel­haft er­schien, dass die Er­he­bung einer Klage un­zu­mut­bar ge­we­sen sei. Eine sol­che Si­tua­ti­on sahen die Karls­ru­her Rich­ter bei den VW-Die­seln aber nicht.

Laut VW noch rund 9.000 Ver­fah­ren offen

Nach Kon­zern­an­ga­ben waren jüngst noch rund 9.000 Ver­fah­ren offen, in denen erst 2019 oder 2020 ge­klagt wurde. Volks­wa­gen geht je­doch nicht davon aus, dass all diese Kla­gen mit dem De­zem­ber-Ur­teil schon vom Tisch sind. An­wäl­tin Mar­ti­na van Wi­jn­gaar­den sagte: „In vie­len Fäl­len ist die Frage, ob Kennt­nis oder grob fahr­läs­si­ge Un­kennt­nis vor­liegt, hin­ge­gen strei­tig.“ 2021 soll es wei­te­re Ver­hand­lun­gen dazu geben.

VW: Kauf­zeit­punk­te zum Teil ma­ni­pu­liert

Etwa zwei Dut­zend Mal fiel laut VW zudem auf, dass Klä­ger ih­rer­seits of­fen­bar Kauf­zeit­punk­te ma­ni­pu­lier­ten, um unter die Re­ge­lun­gen des Mus­ter­ver­gleichs zu fal­len: Man gehe „kon­se­quent gegen Per­so­nen vor, die bei­spiels­wei­se durch das Fäl­schen von Zu­las­sungs­be­schei­ni­gun­gen ver­sucht haben, sich Geld zu er­schlei­chen“. Das Un­ter­neh­men werde sol­che Be­trugs­ab­sich­ten bei den zu­stän­di­gen Staats­an­walt­schaf­ten an­zei­gen, es hand­le sich um rück­da­tier­te oder fin­gier­te Kauf­ver­trä­ge.

Rechts­dienst­leis­ter in Ab­gas­fäl­len ab­ge­mahnt

Kri­tisch wird mitt­ler­wei­le auch das Ge­schäfts­ge­ba­ren man­cher Rechts­dienst­leis­ter und Ver­mitt­ler ge­se­hen, die an Abgas-Ver­fah­ren mit­ver­die­nen. Die Wett­be­werbs­zen­tra­le mahn­te das Ver­gleichs­por­tal Check24 wegen ir­re­füh­ren­der Wer­bung ab: Das Un­ter­neh­men ver­mitt­le als Mak­ler für Kfz-Ver­si­che­run­gen Fahr­zeug­hal­tern das Ge­fühl, in jedem Fall er­folg­reich wegen des Die­sel­skan­dals kla­gen zu kön­nen. Es gebe etwa Wer­be­aus­sa­gen wie „bis zu 10.000 Euro Scha­den­er­satz“, „ohne Kos­ten­ri­si­ko“ oder „sehr gute Er­folgs­aus­sich­ten“. Es gehe nicht darum, be­rech­tig­te An­sprü­che von Ge­schä­dig­ten zu ver­nei­nen – aber die Pra­xis zeige, dass teils text­bau­stein­ar­tig ver­fass­te Kla­gen zu Zehn­tau­sen­den bei deut­schen Ge­rich­ten ein­ge­reicht wur­den.

Redaktion beck-aktuell, 5. Jan 2021 (dpa).